Primärversorgungseinheiten (PVE) zur Sicherung der medizinischen Versorgung?
Bereits seit dem Jahr 2017 ermöglicht das Primärversorgungsgesetz die Bildung sogenannter Primärversorgungseinheiten und damit neue Formen der multiprofessionellen und interdisziplinären Zusammenarbeit von Gesundheits- und Sozialberufen. Gerade die aktuellen Kostenentwicklungen, die Herausforderungen des Personalmangels und schließlich Fragen der persönlichen Lebensplanung könnten für eine Vergesellschaftung im ärztlichen Bereich sprechen.
In Österreich – wie auch in vielen anderen europäischen Staaten – stellt die Stärkung der Primärversorgung eines der wesentlichen gesundheitspolitischen Vorhaben für die nachhaltige Ausrichtung von Gesundheitssystemen dar. Ziel ist es, die Gesundheit zu fördern, die Prävention zu stärken sowie eine qualitativ hochwertige und effiziente Krankenbehandlung sicherzustellen.
Vor diesem Hintergrund wurden im Jahr 2017 mit dem Primärversorgungsgesetz (PrimVG), BGBl. I Nr. 131/2017, die gesetzlichen Grundlagen zur Stärkung der Primärversorgung in Österreich geschaffen. Im Fokus stand und steht dabei das Prinzip der strukturierten Zusammenarbeit von Gesundheits- und Sozialberufen im Rahmen von Primärversorgungseinheiten (PVE), konkret in „Primärversorgungszentren“ (PVZ) oder „Primärversorgungsnetzwerken“ (PVN).
Um den Ausbau der Primärversorgung in Österreich weiter voranzutreiben, hat das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) das Projekt „Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung“ initiiert, welches im Rahmen der EU-Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, kurz „RRF“) mit einem Budget von EUR 100 Mio Euro dotiert ist, womit auch Fördermittel bereit gestellt werden.
PVE können für Ärztinnen und Ärzte ein attraktives berufliches Umfeld darstellen, dies aus vielerlei Hinsicht. Im Folgenden soll ein Überblick zu den rechtlichen und steuerlichen Aspekten von PVE gegeben werden.
Rechtliche Aspekte zur Primärversorgungseinheit
Für jede PVE ist ein individuelles Versorgungskonzept zu entwickeln. Dabei sind insbesondere die Versorgungsziele, das Leistungsspektrum und die Aufbau- und Ablauforganisation darzustellen. Das Versorgungskonzept gilt als Grundlage für die verbindliche und strukturierte Zusammenarbeit aller Teammitglieder der PVE und ist Grundlage für die Bewerbung für einen Primärversorgungsvertrag bei den zuständigen Krankenversicherungsträgern.
Jede PVE besteht aus einem Kernteam, dem zumindest Ärztinnen/Ärzte für Allgemeinmedizin, ein oder mehrere Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege und Ordinationsassistenzen angehören. Darüber hinaus sind orts- und bedarfsabhängig weitere Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen einzubinden. Entscheidend für die Art und Anzahl der vertretenen Berufsgruppen und der erforderlichen Qualifikationen sind die jeweiligen regionalen Erfordernisse bzw der erforderliche Leistungsumfang.
Die Primärversorgungseinheit ist mit eigener Rechtspersönlichkeit auszustatten, muss im jeweiligen Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG) abgebildet sein und über einen auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Primärversorgungsvertrag mit den in Betracht kommenden Krankenversicherungsträgern verfügen, wobei jedenfalls die Österreichische Gesundheitskasse Vertragspartner der PVE sein muss.
Entsprechend den örtlichen Verhältnissen kann eine PVE gemäß Primärversorgungstypus an einem Standort (PVZ) oder als Netzwerk an mehreren Standorten (PVN) eingerichtet sein und nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in der jeweils zulässigen Rechtsform geführt werden. Dabei schränken die berufsrechtlichen Bestimmungen des Ärztegesetzes (ÄrzteG 1998) über die Einrichtung von „Gruppenpraxen“ oder auch das Kranken- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) die freie Rechtsformwahl ein, sodass im Ergebnis folgende Rechtsformen für PVE im Betracht kommen:
- Gruppenpraxis als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
- Gruppenpraxis als Offene Gesellschaft (OG)
- Verein
- Genossenschaft
- Selbstständiges Ambulatorium
Gesellschafter der GmbH oder OG müssen zwingend ausschließlich berufsberichtigte Ärztinnen/Ärzte sein. Gruppenpraxis-GmbH und -OG dabei können wiederum selbst Rechtsträger einer PVE sein. Vereine und Genossenschaften können hingegen nur als Trägerorganisation für den Betrieb eines Primärversorgungsnetzwerks (PVN) herangezogen werden; deren Mitglieder (Ärztinnen/Ärzte) sind demnach in ihrer Berufsausübung (weiterhin) selbstständig.
PVE an einem Standort können grundsätzlich auch in Form eines selbstständigen Ambulatoriums gemäß § 2 Abs 1 Z 5 bzw der §§ 3a ff KAKuG ausgestaltet sein. Das PrimVG schränkt diese Möglichkeit jedoch insoweit ein, als nur
- gemeinnützige Anbieter gesundheitlicher oder sozialer Dienste,
- gesetzliche Krankenversicherungsträger,
- Gebietskörperschaften oder
- von Gebietskörperschaften eingerichtete Körperschaften und Fonds
Gesellschafterinnen/Gesellschafter von PVE in Form eines selbstständigen Ambulatoriums sein dürfen. Demnach ist die Errichtung eines PVE-Ambulatoriums für freiberufliche Ärztinnen/Ärzte gesetzlich nicht möglich.
Steuerliche Aspekte
Ertragsteuerliche Themenbereiche
Aus ertragsteuerlicher Sicht ist die Unterscheidung, ob eine PVE an einem Standort (PVZ) oder ein Primärversorgungsnetzwerk (PVN) vorliegt, nicht von Bedeutung. Vielmehr kommt es auf die gewählte Rechtsform und das Vermögen (wesentliche Betriebsgrundlagen, Patientenstock) einer Gesellschaft bzw des Rechtsträgers an. Die jeweilige Rechtsform bedingt das Besteuerungsregime der laufenden Besteuerung. Die PVE-Gruppenpraxis-GmbH ermöglicht bei Thesaurierung von Gewinnen und angesichts dadurch geringerer Ertragsteuerbelastung eine kürzere Refinanzierungsdauer von Investitionen. Die PVE-Gruppenpraxis-OG andererseits erlaubt ein großes Maß an Flexibilität in der Ausgestaltung der Vergütungen der Gesellschafter.
Bedeutsam aus steuerlicher Sicht ist es, dass PVE (gleichgültig ob PVZ oder PVN) aus bereits bestehenden betrieblichen Einheiten, somit Ärzte-Praxen, gebildet werden können, denn Wesensmerkmal einer PVE an einem Standort ist die Vergesellschaftung mehrerer Ärzte zu einer Gruppenpraxis. Gleiches gilt bei einem Primärversorgungsnetzwerk (PVN), wenn der Weg einer dislozierten Gruppenpraxis gewählt wird. Dies hat jedenfalls zur Folge, dass Vermögen – nämlich der Betrieb einer bestehenden Arztpraxis – in die gemeinsame Gesellschaft übertragen werden muss, sofern nicht eine gänzliche Neugründung erfolgt.
Bildung von PVE: Vermögensübertragungen sind ertragsteuerlich grundsätzlich steuerwirksame Realisierungsvorgänge, welche – da ein Verkauf des Einzelbetriebes an die Gruppenpraxis unterstellt wird – die Besteuerung der stillen Reserven und des Firmenwertes (Patientenstock) bewirken, wenngleich die Gruppenpraxis einen so erworbenen Firmenwert über 15 Jahre (sofern die/der übertragende Ärztin/Arzt weiterhin mitarbeitet) verteilt steuerwirksam abschreiben kann.
Regelmäßig empfiehlt sich daher die ertragsteuerneutrale Übertragung der Praxen unter Anwendung der steuerlichen Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes (Zusammenschluss oder Einbringung nach UmgrStG) sowie unter Berücksichtigung der berufsrechtlichen, spezifischen Besonderheiten iZm ärztlichen Betrieben.
Auflösung/Trennung von PVE: Auch kann eine spätere Trennung von PVE, deren Auflösung oder ein Ausscheiden von Ärztinnen/Ärzten ggf durch Umgründung ertragsteuerneutral erfolgen (Realteilung oder Spaltung nach UmgrStG). Dies setzt zunächst das Vorliegen eines Betriebes bzw Teilbetriebes voraus. Letzterer ist bei einer dislozierten Gruppenpraxis bzw auch im Primärversorgungsnetzwerk (PVN) vorstellbar; bei einer PVE an einem Standort wird hingegen die Teilbetriebseigenschaft nicht darstellbar sein. Im Falle einer Spaltung ist überdies die berufsrechtliche Besonderheit zu beachten, dass einer Gruppenpraxis-GmbH zumindest zwei Ärztinnen/Ärzten als Gesellschafter anzugehören haben, was ggf das Erfordernis eines umgründungssteuerlichen Mehrfachzuges (errichtende Umwandung auf OG und Realteilung nach UmgrStG) nach sich ziehen könnte.
Umsatzsteuerliche Themenbereiche
Eine PVE kann an einem Standort oder als Netzwerk an mehreren Standorten eingerichtet werden. Handelt es sich um ein Primärversorgungsnetzwerk (PVN) mit einer rechtlich getrennten Trägerorganisation, sind im Vergleich zu einer PVE-Gruppenpraxis und einem PVN als dislozierte Gruppenpraxis umsatzsteuerliche Besonderheiten zu beachten. Zentrale Fragen betreffen regelmäßig den Leistungsaustausch, Umsatzsteuerbefreiungen und damit in Verbindung stehend den Vorsteuerabzug.
Primärversorgungseinheit-Gruppenpraxis: Sowohl eine PVE-Gruppenpraxis OG als auch eine PVE-Gruppenpraxis GmbH ist als Unternehmer iSd UStG zu qualifizieren. Der Leistungsaustausch findet zwischen den Sozialversicherungsträgern und der PVE-Gruppenpraxis statt. Die ärztlichen Leistungen werden aus umsatzsteuerlicher Sicht von der jeweiligen Gesellschaft (OG bzw GmbH) und nicht von den daran beteiligten Ärztinnen/Ärzten gegenüber den Sozialversicherungsträgern erbracht. Die Ärztin/der Arzt nimmt folglich an diesem umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch nicht teil.
Die Steuerbefreiung des § 6 Abs 1 Z 19 UStG gilt angesichts der Rechtsformneutralität der Steuerbefreiung auch für Gruppenpraxen. Folglich fallen sowohl die PVE-Gruppenpraxis-OG als auch die PVE-Gruppenpraxis-GmbH hinsichtlich der Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin unter den Befreiungstatbestand des § 6 Abs 1 Z 19 UStG. Werden seitens einer Gruppenpraxis auch nicht steuerbefreite Umsätze ausgeführt, so unterliegen diese – sofern nicht die Kleinunternehmerregelung anwendbar ist – der Umsatzsteuer.
Die Besteuerung für eine PVE-Gruppenpraxis-GmbH erfolgt nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung), da diese als berufsrechtlich zugelassene Gesellschaft Leistungen erbringt, die der freiberuflichen Tätigkeit iSd § 22 EStG entsprechen.
Primärversorgungseinheit-Netzwerk: Da PVE auch als Primärversorgungsnetzwerk (PVN) an mehreren Standorten ausgestaltet sein können, ergeben sich hieraus zwei Möglichkeiten:
- PVN als dislozierte Gruppenpraxis iSd § 52a Abs 4 ÄrzteG
- PVN mit rechtlich getrennter Trägerorganisation
Hinsichtlich eines PVN als dislozierte Gruppenpraxis ist auf die Ausführungen zur Primärversorgungseinheit-Gruppenpraxis oben zu verweisen, da die Ausgestaltung als Netzwerk keine weiteren umsatzsteuerlichen Besonderheiten mit sich bringt.
Verfügt das PVN hingegen über eine rechtlich getrennte Trägerorganisation, sind spezifische umsatzsteuerliche Besonderheiten zu beachten, welche praktisch insbes im Primärversorgungsnetzwerk (PVN) mit Vereinen als Trägerorganisationen umsatzsteuerliche Bedeutung erlangen. Dazu bedarf es jedenfalls einer detaillierten, tiefgehenden Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gegebenheiten.