VwGH: Gruppenbildung mit EU/EWR-Gruppenträger ohne Zweigniederlassung in Österreich
Der VwGH bestätigte kürzlich eine Gruppenbildung mit einem EU/EWR-Gruppenträger ohne Zweigniederlassung in Österreich und erklärt damit eine Unternehmensgruppe zwischen österreichischen Schwesterngesellschaften, deren gemeinsame Muttergesellschaft im Ausland ansässig ist und welche in Österreich über keine Zweigniederlassung verfügt, entgegen dem Wortlaut des § 9 KStG für zulässig.
Bereits am 31. März 2022, RV/7104573/2020, hatte das Bundesfinanzgericht (BFG) die Fachwelt überrascht, indem die Bildung einer österreichischen Steuergruppe nach § 9 KStG zwischen österreichischen Schwesterngesellschaften für zulässig erklärt wurde, deren gemeinsame Muttergesellschaft im Ausland ansässig ist und über keine Zweigniederlassung in Österreich verfügt. Der VwGH (27.03.2024, Ro 2023/13/0018) hat dies nun im Ergebnis bestätigt, wenngleich auf anderem Weg wie auch mit anderer Begründung. Dieses Erkenntnis wirft aber weitere Fragen auf.
1. Anlassfall
Eine deutsche Muttergesellschaft (Kapitalgesellschaft), die weder über eine österreichische Zweigniederlassung verfügt noch an einer österreichischen operativ tätigen Personengesellschaft beteiligt ist, hält die Mehrheit der Anteile an zwei operativen österreichischen Kapitalgesellschaften (jeweils mehr als 50 % der Stimmrechte und Kapitalanteile).
Diese deutsche Muttergesellschaft stellte einen Antrag auf Feststellung einer österreichischen Unternehmensgruppe gemäß § 9 KStG ab Veranlagung 2017. Gruppenträger sollte demnach die deutsche Muttergesellschaft, Gruppenmitglieder die beiden in Österreich ansässigen Kapitalgesellschaften sein.
2. Wesentliche Aussagen des VwGH
Nach § 9 Abs 3 KStG können EU/EWR-Kapitalgesellschaften nur dann Gruppenträger einer österreichischen Unternehmensgruppe sein, wenn diese über eine eingetragene Zweigniederlassung im Inland verfügen und die Beteiligungen der österreichischen Gruppenmitglieder dieser österreichischen Zweigniederlassung zugerechnet werden kann.
Der VwGH sieht in der Voraussetzung einer (österreichischen) Zweigniederlassung unter Berufung auf die Judikatur des EuGH zur Gruppenbesteuerung in anderen Mitgliedstaaten (EuGH 12.06.2014, C-39/13, SCA Group Holding ua; EuGH 14.05.2020, C-749/18, B ua) einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Eine Vorlage an den EuGH erfolgte hierzu aber nicht.
Anders als die vorausgegangene Entscheidung des BFG sieht der VwGH die Zuweisung der Gruppenträgerfunktion an eine der österreichischen Schwesterngesellschaften als unzulässig an, Gruppenträgerin könne in einer solchen Konstellation nur die ausländische Muttergesellschaft sein.
In der Begründung führte der VwGH aus, der Zweck der Gruppenbesteuerung sei insb das Zusammenfassen (Summierung oder Saldierung) der steuerlichen Ergebnisse finanziell verbundener Körperschaften bei einem Gruppenträger. Die Gruppenmitglieder werden somit im Ergebnis steuerlich für Zwecke der Gruppenbesteuerung ähnlich wie Betriebsstätten des Gruppenträgers behandelt. „Den unionsrechtlichen Vorgaben zur Gruppenbesteuerung kann im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion mit dem materiell geringsten Eingriff dadurch entsprochen werden, dass die ausländische Muttergesellschaft als Gruppenträgerin festgestellt wird und für Zwecke der Zusammenrechnung der Ergebnisse der Gruppenmitglieder im Rahmen der Gruppenbesteuerung unter Einhaltung der Vorgaben des § 9 KStG 1988 (insbesondere betreffend Vor- und Außengruppenverluste) die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften wie österreichische Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt werden.“
Für Zwecke der Zusammenrechnung des Gruppenergebnisses sollen die österreichischen Tochtergesellschaften daher gemäß VwGH „ähnlich wie österreichische Betriebsstätten der Gruppenträgerin“ zu behandeln sein. Da die Steuergruppe als eine steuerliche Konsolidierung ohne (gesellschaftsrechtliche) Verschmelzung zu sehen ist, ist das Gruppenergebnis daher auch nach VwGH bei der ausländischen Gruppenträgerin zu besteuern.
3. Erste Überlegungen und praktische Auswirkungen
Das nun vorliegende VwGH-Erkenntnis erlaubt nachfolgende, erste Schlussfolgerungen und wirft insb folgende Fragen auf:
- Gemäß VwGH ist beim EU/EWR-Gruppenträger das Gruppenergebnis zu ermitteln. Dies wird eine steuerliche Registrierung des Gruppenträgers im Inland erfordern.
- Die Aussage des VwGH, die inländischen Gruppenmitglieder werden „ähnlich wie Betriebsstätten“ behandelt, könnte Auswirkungen auf die Verrechnung von Vor- oder Außergruppenverluste der beiden österreichischen Tochtergesellschaften haben. Der VwGH schränkt die allgemeine Aussage („ähnlich wie Betriebsstätten“) in seinem Folgesatz zwar auf die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften ein, was sich aber auch so verstehen ließe, dass die ausländische Muttergesellschaft zwar formale Gruppenträgerin ist, die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften jedoch materiell als Teil des ausländischen Gruppenträgers zu sehen sind. Ein solches Verständnis würde die Verrechnung von Vor- oder Außergruppenverluste (unter Beachtung der 75 %-Grenze) der beiden inländischen Tochtergesellschaften ermöglichen.
- Unklar ist, ob die österreichischen unmittelbaren Gruppenmitglieder betriebsführend im Sinne des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) sein müssen (vgl Art 7 iVm Art 5 OECD Musterabkommen).
- Unklar ist zudem das Veranlagungsverfahren betreffend einer solchen de facto Schwesterngruppe, ob zB hier eine Null-Erklärung für die ausländische Gruppenträgerin erforderlich sein wird.
- Die nun vorliegende VwGH Rechtsprechung schließt die Aufnahme einer Schwesterngesellschaft in eine bestehende Unternehmensgruppe – anders als dies nach Entscheidung des BFG noch möglich gewesen wäre – aus. Dies könnte aber im Konflikt zur Rechtsprechung des EuGH stehen, der eine Erweiterung um Schwesterngesellschaften ohne Auflösung bestehender Unternehmensgruppen als unionsrechtlich geboten angesehen hatte (EuGH 14.05.2020, C-749/18, B ua).
Die weitere Entwicklung dazu bzw die praktische Umsetzung dieser Rechtsprechung durch die österreichische Finanzverwaltung bleibt abzuwarten. Unsere Expert:innen stehen gern für Fragen und weitere Erläuterungen zur Verfügung.