EuGH: Berichtigung der Steuerschuld ohne Rechnungsberichtigung
Der EuGH war zuletzt mit der Frage befasst, ob eine Berichtigung der Umsatzsteuererklärung auch dann zulässig ist, wenn keine Rechnungen, sondern Registrierkassenbons ausgestellt worden sind und daher eine Rechnungsberichtigung gar nicht möglich ist.
Der EuGH hatte kürzlich zu klären, ob eine Berichtigung der Umsatzsteuererklärung auch dann zulässig ist, wenn keine Rechnungen ausgestellt worden sind, insb aber auch, ob eine Rechnungsberichtigung für jene Steuerpflichtige vorausgesetzt werden kann, die aufgrund der Art und des Umfangs der Umsätze gar nicht zur Ausstellung von Rechnungen verpflichtet sind.
1. Anlassfall
Ein Unternehmer (B) erbringt in Polen Dienstleistungen iZm Freizeitaktivitäten wie auch der Verbesserung der körperlichen Fitness. Diese sonstigen Leistungen wurden in den Jahren 2012–2014 zum (polnischen) Normalsteuersatz von 23 % versteuert. Im Jahr 2014 wurde – im Einklang mit der diesbezüglichen polnischen steuerrechtlichen Literaturmeinung – von B die Ansicht vertreten, diese Leistungen wären dem besonderen (ermäßigten) Steuersatz von 8 % der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, woraufhin B eine Berichtigung der Mehrwertsteuererklärungen für die Jahre 2012–2014 und eine Rückzahlung der zu hoch ausgewiesenen Mehrwertsteuer beantragte.
Die Finanzverwaltung lehnte eine solche Berichtigung mit der Begründung ab, dass B keine Rechnungen über die Leistungen ausgestellt habe, es aber für die Berichtigung der Erklärung (zunächst) einer Berichtigung der Rechnungen bedürfe.
Das von B angerufene Gericht gab der Beschwerde statt. Demnach ist der Steuerpflichtige berechtigt, den Betrag der für die Verkäufe geschuldeten Steuer zu berichtigen. Das Fehlen des dem Käufer ausgehändigten originalen Kassenbons stelle dabei kein Hindernis dar, da die Registrierkasse ein mehrfaches Auslesen der darin gespeicherten Daten ermögliche. Das sodann vom Finanzamt angerufene Oberste Verwaltungsgericht legte daraufhin dem EuGH die Frage vor,
- ob die Grundsätze der steuerlichen Neutralität, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung dahin auszulegen sind, dass eine Berichtigung einer Mehrwertsteuererklärung auch dann möglich ist, wenn keine Rechnungen, sondern Registrierkassenbons ausgestellt wurden.
2. Urteil des EuGH
Der EuGH hält in dessen Urteil (EuGH 21.03.2024, C-606/22, B. sp. j) eingangs fest, dass die Steuerverwaltung eines Mitgliedstaates den Neutralitätsgrundsatz unverhältnismäßig beeinträchtigen würde, wenn sie den Steuerpflichtigen mit Umsatzsteuer belastet, auf deren Erstattung der Steuerpflichtige einen Anspruch hat.
Bevor aber zu klären ist, ob eine Berichtigung der Mehrwertsteuererklärung auch ohne Rechnungsberichtigung möglich ist, stelle sich zunächst die Frage, ob der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer habe. Eine Erstattung sei dann nicht möglich, wenn diese zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führen würde. Hierzu führt der EuGH aus, dass die Mehrwertsteuer nur den Endverbraucher belasten soll, wobei dies aber nicht zwingend bedeute, dass eine Erstattung jedenfalls eine ungerechtfertigte Bereicherung darstellt. So könne dem Steuerpflichtigen durch die Anwendung des unrichtigen – konkret zu hohen – Steuersatzes ein wirtschaftlicher Schaden aufgrund eines Absatzrückganges erwachsen, welcher für die Zulässigkeit einer Erstattung bereits genüge. Ob im vorliegenden Fall ein solcher Schaden angenommen werden könne, sieht der EuGH als Sachverhaltsfrage, welche in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt.
Besteht ein solcher Schaden, wäre weiters zu prüfen, ob der Rückzahlungsanspruch von einer Rechnungsberichtigung abhängig gemacht werden kann. Ist der Steuerpflichtige aufgrund der Art und der Höhe der Umsätze nämlich nicht zur Rechnungsstellung verpflichtet, verstößt die Praxis, eine Berichtigung der Mehrwertsteuererklärung von einer Rechnungsberichtigung abhängig zu machen, gegen den Effektivitätsgrundsatz. Auch werde der Steuerpflichtige im vorliegenden Fall gegenüber anderen unmittelbaren Wettbewerbern benachteiligt, die den ermäßigten Steuersatz richtigerweise angewandt haben. Daher verstößt die Praxis der Steuerverwaltung zudem gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität.
Conclusio
Der EuGH hat mit vorliegendem Urteil entschieden, dass das Verlangen einer Rechnungsberichtigung für die Berichtigung der Mehrwertsteuererklärung gegen die Grundsätze der Effektivität und der Neutralität verstößt, wenn der Steuerpflichtige nicht zur Rechnungsausstellung verpflichtet ist. Diese Aussage ist insb vor dem Hintergrund des zuletzt ergangenen Urteils EuGH 08.12.2022, C-378/21, P-GmbH (Rn 24) beachtlich und konsistent, wonach bei B2C-Geschäften bei erfolgter Rechnungsausstellung keine Rechnungsberichtigung erforderlich ist, um eine Mehrwertsteuererstattung zu erhalten. Denn bei B2C-Geschäften besteht mangels Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers keine Gefährdung des Steueraufkommens.
Im vorliegenden Fall hat der EuGH ausgeführt, dass das Fehlen von Rechnungen rechtmäßig sei; dies impliziert, dass den erbrachten Leistungen B2C-Geschäfte zugrunde gelegen sind.1 Damit kann auch von keiner Gefährdung des Steueraufkommens ausgegangen werden.
Wenn selbst bei erfolgter Rechnungsstellung (EuGH 08.12.2022, C-378/21, P-GmbH) keine Berichtigung notwendig ist, ist es somit nur konsequent, auch bei (rechtmäßigem) Fehlen einer Rechnung keine Rechnungsberichtigung für eine Mehrwertsteuerrückerstattung vorauszusetzen.